Franz Schubert

Werkbeschreibung von Marcus Bernard Hartmann


Sonate C-Dur DV 840
Sonate a-moll DV 784
Sonate G-Dur DV 894


Sie blieb unvollendet, diese Sonate in C-Dur 840, die ein Verleger zur «Reliquie» machte und überdies irrtümlich glaubte, sie wäre Schuberts letzte gewesen. Ein Irrtum war aber zur Zeit des Erstdrucks dieser Sonate im Jahre 1861 – 33 Jahre nach Franz Schuberts Tod! – schnell gedacht, denn: das Sonatenwerk des Komponisten war damals noch weitgehend unbekannt. Man vergegenwärtige sich hierbei die Tatsache, dass zu Lebzeiten Schuberts nur drei Sonaten veröffentlicht wurden und die meisten erst Jahre, sogar Jahrzehnte später in Druck kamen.

Und noch heute ist uns der Zugang in diese faszinierende Sonatenwelt an mancher Stelle ein schwieriges Unterfangen geblieben: viele der Sonaten sind lediglich Fragment, wobei das eine Mal der Finalsatz fehlt, da andere Mal die Sätze erst gar nicht zu Ende komponiert wurden, dann wiederum konnte die Satzfolge oder sogar ihre Zusammengehörigkeit nicht festgestellt werden. – Eine Sonatenwelt, die zu sehr die reale Welt widerspiegelt?

Die Sonate in C-Dur DV 840 hat zwei vollendete und zwei unvollendete Sätze. Der Kopfsatz und das Andante sind kompositorische Vollendung, während Menuett und Finalsatz die Meisterlichkeit nur fragmentarisch erkennen lassen. Die Sonate wäre, wenn Schubert die vorgesehene Viersätzigkeit auskomponiert hätte, ein geradezu monumentales Werk geworden, in einer Reihe mit der Sonate D-Dur DV 850, der Sonate B-Dur DV 960 zu stellen. Warum die C-Dur-Sonate nicht ihre volle Entfaltung bekam, ist der Nachwelt, besonders in Anbetracht der reifen Leistung der ersten beiden Sätze, durchaus unverständlich. Wir müssen also mit dem «Moderato» und dem «Andante» vorliebnehmen.

Eine gewisse Abgeschlossenheit bietet sich im Kontrast der beiden Sätze, in der Gegenüberstellung von Dur und Moll, an. Der tongeschlechtliche Kontrast kann der Sonate eine überzeugende Erscheinung geben, den für Schubert so typischen Dur-moll-Wechsel in der Dimensionalität der Abfolge zweier Sätze darstellen. Überaus typisch ist im Moderato auch Schuberts Vorliebe für Tonrepetitionen, und hier vornehmlich auf einzelnen Tönen. Diese Besonderheit verleiht dem Hauptsatz eine aparte Klanglichkeit, die eine kontemplative Kargheit suggeriert. Von großer Meisterschaft ist auch seine Struktur: das Gleichmaß der Satzteile, die Einheit durch motivische Verknüpfungen (das Hauptthema generiert in seinem Verlauf die Rhythmik der Begleitung des zweiten Themas) und nicht zuletzt die Schönheit der melodischen Erfindung machen diesen Satz zu einem der wertvollsten des Komponisten.

Diesem ersten steht der Andante-Satz in nichts nach. Eine mannigfaltige Rhythmik (selbst 128-tel sind noch vertreten), die großzügige Konzeption, sowie der nachdenkliche Ton seiner Themen verleihen dem c-moll-Andante hohen künstlerischen Anspruch.

Eine wichtige Frage wirft die Wahl des Tempos auf: um die rascheste rhythmische Figuration in einer rhythmischen Strenge darstellen zu können, bedarf es eigentlich eines recht breiten Tempos, was sich entscheidend auf den Charakter des Stückes auswirkt: Ein epischer Ton klingt an.


Nach Jahren des Ringens um die Sonatenform, aus denen auch die vielen Fragment gebliebenen Versuche stammen, und nach Jahren ohne Auseinandersetzung mit dieser mehrsätzigen Gattung, da gelingt Franz Schubert mit der Komposition der Sonate a-moll DV 784 auf einmal die Erfüllung aller Ambitionen. In persönlichster Art und Weise löst er sämtliche formspezifischen Probleme, bereichert er die Sonate in eigenster Manier und meistert die Forderungen mit neuen Kriterien. Hier ist Schubert vielleicht zum ersten Mal ein souveräner Sonaten-Komponist, ohne Vorbilder, und hatte er zuvor noch Beethoven'sche Maßstäbe vor sich, so erreicht Schubert mit diesem Werk künstlerische Eigenständigkeit, eine, noch dazu als Zeitgenosse Beethovens, in der Komposition der Sonate überaus bewundernswerte Leistung.

Die Frage, welche Schubert selbst einst in großer Ehrfurcht stellte – Wer soll nach Beethoven noch Sonaten schreiben? – diese Frage begann er mit der Sonate a-moll DV 784 beeindruckend zu beantworten. Die Wahl der Tonart könnte man fast schicksalsträchtig bezeichnen: seine erste vollendete Sonate steht in a-moll. Eine noch zu Lebzeiten Franz Schuberts viel beachtete Sonate ist ebenfalls in a-moll komponiert – eine solche Beachtung vernahm er in Bezug auf eine Klaviersonate von der Öffentlichkeit äußerst selten, und wohl schon nur deshalb, weil er auch lediglich die Veröffentlichung dreier seiner Sonaten erfuhr – und mit der hier besprochenen Sonate a-moll DV 784 findet er zu s e i n e r Sonate.

Einige Beispiele ihrer Eigenart seien hier kurz erwähnt. Von besonderem Interesse dürfte die Rhythmik des ersten Satzes sein. Das «Allegro giusto» steht im 4/4-Takt, während das Hauptthema, sowie das das zweite, im Duktus eines 2/2-Taktes gehalten ist. Dieser Dualismus wirft darstellerische Probleme auf. Wählt der Interpret den «alla breve»-Takt, gereicht der Satz zum schwungvollen Allegro, versteht man ihn im 4/4-Takt, so wirkt er, insbesondere während des zweiten Themas, schreitender. Die Rhythmik der Durchführung, die unmissverständlich einem 4/4-Takt folgt, kann eine Entscheidung bewirken, welche der vorgeschriebenen Taktart folgt. Eine zweigleisige Einstellung wirkt wenig überzeugend; ich präferiere die Präsenz des Viertels. Die Einheit der Sätze, um eine weitere Besonderheit anzudeuten, verstärkt eine thematische Verbindung zwischen dem Hauptthema des Kopfsatzes und dem Triolenthema des Finales. Beide Themen prägt , wenn auch unterschiedlich, die Verwendung der Quinte. Der markante Quintsprung des Themas im ersten Satz wird motivisch als Rahmen für das Triolenthema im letzten übernommen, der Intervallsprung wird schrittweise aufgefüllt. Dass zum Anfang des Andantes, im Bass sonor eine Quinte das Thema trägt, sei nur ein kleiner Hinweis. – Beschließen wir diese flüchtige Betrachtung der Sonate a-moll, auch wenn es der kleinen Hinweise noch genug gäbe, mit einem Zitat: « … wo das Erhabene auf einer ganz einfachen, unverzierten Melodie … beruht.»


«Seine Vollendetste in Form und Geist. In ihr ist alles organisch, atmet alles dasselbe Leben.» Worte Schumanns von prägnanter Bedeutung verleihen sie doch Schuberts G-Dur Sonate DV 894 den Status des Besonderen, des Meisterwerks. Deutlich formuliert ist vor allem das eigentlich Meisterliche dieser Sonate. «In ihr ist alles organisch.» Der Impuls, der erste Anschlag, löst einen von stets derselben Entwicklungskraft angetriebenen Prozess aus, eine Kontinuität in deren Erschöpfung der Keim ihrer Entstehung liegt; die Sonate verklingt in ihrem Anfang, ihre quasi Erneuerung verleiht ihr höchste kompositorische Einheit, sie ist Musik in ihrer natürlichsten Darstellung. Der verklärende G-Dur-Klang, der wie aus dem Nichts gehaucht sich plötzlich im Zeitlichen ergeht, erfährt in seinen mannigfaltigen Erscheinungen faszinierende Wandlungen.

Die Thematik des ersten Satzes entfaltet sich aus feinsten klanglichen Nuancen und während die klassische Formgebung eine markante, deutlich unterscheidende Komposition der jeweiligen Themen verlangt, entwickelt Schubert diesen Sonatenhauptsatz aus jener Vorstellung, worin «alles dasselbe Leben atmet». Da diese subtilen Schattierungen von Klang ein gewisses Innehalten, eine Ausdehnung ins Zeitliche verlangen, überschreibt Schubert den Satz «Molto moderato e cantabile». Das dahingleitende Achtel wird zur zeitlichen Verkörperung des Klanges, Einteilung einer sich verflüchtigenden Musik. Die Zeit dehnt sich, eine innere Bereitschaft zur Verlangsamung, Ruhe und Einkehr des Zuhörenden muss Voraussetzung werden, um nicht die Aufnahmetätigkeit zu verlieren. Schuberts Musik muss gerade in ihrer weiträumigen Darstellung die Ausdrucksmöglichkeit bekommen, die mit der Schnelllebigkeit unserer Zeit immer mehr verdrängt wird: Musik als Betrachtung von Zeit und nicht als deren Unterhaltung.

Dem Verstummen des Kopfsatzes entsteigt unisono das Andante-Thema, eindringlich in seinem einfachen Gesang. Dieser zweite Satz ist knapper, komprimierter in seiner Ausführung, die Formteile deutlich unterscheidend und rhythmisch ergiebiger, behält jedoch stets das Fluidum des Bisherigen, den die ganze Sonate umfassenden Gedanken.

Als vielleicht die ausschweifendste Episode, dem Kleinod der Sonate, schwingt sich ein Menuetto zum Tanze. In tänzerischer Lust wirkt der Satz vergnügt, aufdringlich, doch zugleich komplimentierend, bis im Trio sich der Schwung anmutig in zartester Schwärmerei wiegt; eine wahrlich zauberhafte Eingebung. - Das Fehlen vordergründiger Virtuosität in diesem Werk verleitet manchen Interpreten, jede Möglichkeit, die das Finale dem brillanten Spiel bieten könnte, wahrzunehmen. Bei näherer Betrachtung des Satzes fällt indessen auf, wie organisch er sich zur restlichen Sonate verhält. Schubert überschreibt das Rondò «Allegretto» und scheint mit dieser mäßigenden Satzbezeichnung der Gefahr, dass die Interpretation durch den «alla breve»-Takt zu drängend ausfallen könnte, vorbeugen zu wollen. Diese Darstellung findet in der klangdynamisch subtilen Gestaltung des Finales, welches das Rondò-Thema, sowie die beiden Nebenthemen im «p» erklingen lässt und in seiner feingliedrigen und lieblichen Phrasierung weitere Hinweise zu einer eher poetisch-idyllischen Deutung. Es ist mir ein Anliegen geworden, das «Allegretto» im Geiste der restlichen Sonate anzusetzen und ihm nicht eitles Virtuosentum, das es eigentlich abweist, virtuosensüchtig aufzudrängen. Vielleicht ist es auch künstlerische Sorgfalt gegenüber der schier unerschöpflichen thematischen Vielfalt, der Fülle melodischer Einfälle, die sich hier faszinierend in einem einzigen Satz ergießt.