Enrique Granados

Werkbeschreibung von Marcus Bernard Hartmann


El amor y la muerte
Coloquio en la reja

Die Einheitlichkeit spanischer Musik und persönlichster Tonsprache zu einer universellen musikalischen Erscheinungsform erheben die Goyescas von Enrique Granados zur künstlerischen Besonderheit und zu einem bedeutenden Zyklus der Klavierliteratur des 20. Jahrhunderts. Von Bildern des Malers Francisco Goya (1746 – 1828) inspiriert, komponiert Granados groß angelegte und hoch virtuose Klavierwerke tänzerischen, balladesken und lyrischen Charakters. Der gesamte Zyklus umfasst sechs Stücke, jedes eigenständig und in sich abgeschlossen, doch durch thematische Verwandtschaften in einem übergeordneten künstlerischen Gedanken miteinander verbunden.

Außerhalb der zyklischen Darstellung gespielt, wirken einzelne Stücke wie El amor y la muerte (Die Liebe und der Tod) und Coloquio en la reja (Zwiegespräch am Fenster) noch beeindruckender und erfahren eine weitere Steigerung in Dimension und kompositorischer Tragweite. Der emotionale Ausdruck, der bei den Goyescas den Interpretationscharakter prägt, wird zum Merkmal dieser Musik, wie er so übersteigert nur selten anzutreffen ist.

Granados wirkt sichtbar bemüht, mit einer Vielzahl schriftlicher Zusätze hochromantischer und überschwänglicher Gefühlsäußerungen im Notenbild, seiner Musik besonderen Nachdruck zu verleihen. Als sensibler, hochrangiger Pianist weiß er einen wirkungsvollen Klaviersatz zu schreiben ohne sich je in bloße Effekthascherei zu verlieren; weitab jeglichen vordergründigen Stils erreicht Granados ein Höchstes an Klangsensibilität, Gestaltungskraft ausgedehnten Formenbaus und betörenden Lyrismus.

Soll man nun einer musikalischen Betrachtung den Versuch nachsetzen, Bilder Goyas mit Worten zu beschreiben, um womöglich eine Szene zu schildern, deren Wirkung im Licht der Farben oder dem Schattenspiel liegt? – Nur schwerlich ist der Ausdruck einer Radierung oder eines Gemäldes schriftlich festzuhalten und ein Versuch bliebe doch immer nur blasser Schein: Erliegen wir doch vielmehr dem Spiel die Bilder Goyas durch die Musik von Granados zu phantasieren oder gar der Idee absoluter Musik nachkommend, die Goyescas als reine Tonschöpfung anzuhören, was sie letzten Endes auch sind.